Folgende Geschichten sind hier eingestellt:

1. Der Linsefranz

2. Der Berndl`s Franz(1859 - 1936)

3. Die neue Kirche zu den zwölf Aposteln

4. Der Kappellenberg und die Mönchsgärten

5. Der Stutz (1849 - 1912)

6. Der Ober (1854 - 1938 )

7. Die Geschichte vom Viernheimer Glockenbuckel

8. Der Prophet von Viernheim

9. Der Schalks Franz (1856 - 1906)


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Der Linsefranz

Vor mehreren Jahren konnte man vor dem Schaukasten der Flora-Drogerie lachende Menschengruppen sehen, die ständig wechselten. Sie bewunderten und belachten ein ausgestelltes Modell. In der Lokalpresse war über dieses seltsame Schaustück folgendes zu lesen: "Kaum wird einem Viernheimer die Ehre zuteil geworden sein, daß er in Gips modelliert wurde. Nur einer ist`s, ein Einziger: Unser berühmter Landsmann Linsefranz. Ein Viernheimer, wir wollen den Namen nicht vorenthalten, Karl Bugert aus der Ketteler Strasse, hat dieses Wagnis unternommen und den weit und breit bekannten Franz modelliert und zwar naturgetreu mit Sack und Pack. Dm künstlerisch veranlagten Modelleur alle Hochachtung."

Wer ist dieser Linsefranz? Aus seinen oft recht verworrenen Aussagen, die ich dem jetzt 78. jährigen Ruheständler einmal mühsam entlockte, ist folgendes zu entnehmen: Er heißt mit richtigem Namen Johannes Adler und ist in dem weit zurückstehenden Häuschen Nr 7 in der Luisenstrasse geboren. Sein Name "Linsefranz" ist ein Erbstück von seinem Vater, der Franz hieß und sein Leben gern Linsensuppe aß.. 1885 kam er bei Lehrer Schröder aus der Schule, erreichte jedoch nur die Mittelklasse. An seinem eroberten Wissen trug er nicht schwer, wohl aber an seinem riesigen Pack, den er in seinen späteren Jahren in der Welt herumschleppte.

Nach seiner Schulzeit arbeitete er zwei Jahre als Tagelöhner in der Zellstofffabrik Waldhof, dann mehrere Jahre bei Bauersleuten in Heddesheim und Hüttenfeld, hierauf sieben Jahre in Abenheim. Hier erfasste ihn der Wandertrieb und führte den Unsteten in die Schweiz und nach dem Elsaß, wo er mehrere Jahre in Arbeit gestanden haben will. Sein ausgesprochenes Wander-und Nichtstuerleben setzte erst in seinem 42. Lebensjahr ein. Von da ab stromerte er mit zwei originellen Naturstöcken bewaffnet und bepackt wie ein Maulesel durch die deutschen Gaue, getreu nach Schillers bekanntem Räuberlied: " Ein freies Leben führen wirein Leben voller Wonne"

Er bettelte nicht, bekam aber doch infolge seiner Originalität so viel freiwillige Gaben, dass er sich durchschlagen konnte, ja oft recht gute Tage hatte. Für Gönner, die ihn abfütterten hatte er ein gutes Gedächtnis und blieb ihnen treu. Er war nicht so leicht satt zu bringen, der hungrige Franz und besuchte deshalb zur Essenszeit immer mehrere Gönner nach seinem Grundsatz: "Doppelt genäht hält besser." Der Franz nähte oft dreifach.

Wo er übernachtete? "In Straßen und Waldgräben, in Stallungen und Feldscheunen". Dort wickelte er sich bei schlechter Witterung in einen wollenen Teppichein, den er stets mit sich schleppte. Wie er dem Chronisten versicherte, kam er über 20 Jahre lang in kein Bett . Einmal so erzählte er mir, habe ihm der Neuzenhofbauer das übernachten in seinem Stall verboten. "Der dumme Kerl hatte Angst ich könnte seinen Stall anstecken. DA wär doch auch mein Hab und Gut verbrannt". Der schwer bepackte Franz erregte durch seine Originalität überall großes Aussehen und wurde hundertfach photographiert. Lassen wir einmal die "Darmstädter Zeitung" zu Wort kommen, die in einer Nummer des Jahrgangs 1930 folgendes schrieb: "Durch die Verkehrspolizei wurde in den gestrigen Frühstunden ein gar eigenartiger Kauz sistiert, der große Menschenansammlungen verursachte. Schon sein Aussehen ist derart, daß man in Wirklichkeit nicht sagen konnte, von welchen Volksstamm er losgelassen wurde. Er trug einen Strohhut, der mit Ölfarbe schwarz und weiß angestrichen war. Trotz des schönen Wetters trug er einen vorsintflutischen Mantel. In dem mächtigen Rucksack auf dem Rücken und in einem Sach den er unter dem Mantel auf dem Leib beschäftigt hatte, führte er allen möglichen und unmöglichen Hausrat, besonders viel Schuhmacherwerkzeug mit sich. Angeblich ist er Schuhmacher von Beruf und achtundfünfzig Jahre alt und soll aus Viernheim stammen. Wegen eines Beinleidens führte er zwei knorrige Naturstöcke mit sich. An einem hatte ein großes Kuhhorn befestigt, an dem anderen einen Schuhabsatz. Der malerische Bursche hatte die Aufmerksamkeit erregt, als er durch Polizeibeamte im Auto, nach dem Wohlfahrtsamt zur Betreuung gebracht wurde. Es war wie er angibt, seine erste Autofahrt".

Dazu bemerkte unsere Lokalpresse: " "Nur keine Beunruhigung! Die Darmstädter haben unseren Linsefranz nicht behalten: Wir haben vielmehr festgestellt, daß der Franz heute Morgen mit dem fahrplanmäßigen Zug 9 Uhr 54 wieder wohlbehalten und munter hier angekommen ist. Man scheint also in Darmstadt, in der Residenz, kein Verständnis für arbeitslose Schuhmacher aufgebracht zu haben." In den letzten Jahren seines Wanderlebens kam der Linsefranz auf den Einfall, seinen Hausrat in einem eigenartigen Fuhrwerk vor sich herzuschieben. Es war ein altmodischer Kinderwagen, auf dem er ein Fähnchen aufgepflanzt hatte. Die Lokalpresse hatte Befürchtung, daß der Franz in seinem Faschingsaufzug seinen Heimatort in Misskredit bringe und schrieb darum:

"Mit teilweise weiblichen Kleidern angetan, die von Schmutz starren, schiebt er mit ewig lächelndem Gesicht einen eben solchen Kinderwagen vor sich her mit allerlei Gerümpel. Als Kopfbedeckung trägt er einen alten auflackierten Frauenhut. So lässt man dieses Jammerbild in der Welt herumlaufen" Auch die auswärtige Presse beschäftigte sich viel und gerne mit unserem Franz und nicht wenig Stolz war er, wenn sie gar noch seine Photografie brachte. Eigenartig, dass sie nie sein höchst komisch wirkendes Schuhwerk erwähnte. Seine langen schweren Schuhe, die schon mehr Paddelbooten glichen, hatte er schichtweise mit Holzsohlen und altem Lederzeug benagelt. Das war seine eigene Kunst und deswegen nannte er sich auch Schuhmacher. Im Winter waren seine "Bootchen" dicht mit Lumpen umwickelt. So triebs der originelle Wanderbursche jahrzehntelang.

Der Nazistaat aber, der dem Landstreichertum sofort einen schweren Riege lvorschob, hatte auch für das unstete Wanderleben des Linsefranz kein Verständnis und die Gemeinde steckte ihn deshalb in das Altersheim der hiesigen Schwestern. Dort war zunächst eine umfangreiche Prozedur nötig, um den in Dreck erstarrten Wildling stubenfähig zu machen. Nachdem er noch in anständige Kleider gesteckt war, war der Franz kaum mehr zu erkennen. Aber es dauerte lange, bis er sich mit dieser Freiheitsberaubung abfand. Schon nach wenigen Wochen schlitzte der lose Vogel aus, wurde aber bald wieder in seinen Käfig zurück gebracht. Allmählich aber, ergab sich der seltsame Romantiker in sein Schicksal, "der Not gehorchend, nicht dem eigenen Triebe", und wurde ein recht unzufriedener Insasse des bewährten Heims.

Unser Franz fühlte sich nie wohl in dem großen lichthellen Raum, in dem noch drei weitere alte betreut wurden. Er könnte das tägliche Bettaufschütteln nicht ertragen, brummte er ständig, der Staub setze seiner zarten Haut zu. Und er ruhte nicht und ruhte nicht und geisterte die Schwestern so lange, bis sie ihm einen seperaten, kleinen Raum im Erdgeschoss anwiesen, in dem der ehemalige lose Wanderer seinen Lebensabend verbrachte. Niemand hatte Zutritt. Sein Bett machte er selbst. So bewahrheitete sich wieder mal das Sprichwort:" setzt den Frosch auf goldenen Stuhl, er hüpft immer wieder in den Phuhl!"

Im April 1948 erfaßte den losen Vogel nochmal der alte Wandertrieb. Er schlitzte aus und pilgerte als 77 jähriger bis nach Offenburg, wo er in ein Pfründnerheim gesteckt wurde. Von dort hatte er ihn der Fürsorgebeamte A. Haas abzuholen. Beinahe wäre es ihm mißglückt Franzl stieg nämlich in einem unbewachten Augenblick in Offenburg in den Pariser D-Zug ein, aus dem in Haas nur mit Müh und Not im letzten Augenblick heraus holen konte. Da die Viernheimer Schwestern auf den undankbaren Ausreißer verzichteten, wurde er in die Heppenheimer Pflegeanstalt gebracht.



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Der Berndl`s Franz(1859 - 1936)

aus dem Buch "Chronik der Stadt Viernheim von Rektor Hans Mayr aus dem Jahr1948"

Sein Vater der Bernhard Heinz, von dem er nicht viel mehr erbte als seinen Namen, war ein ehrsamer Schuhmacher. Dem alten Heinz rühmten seine Zunftkollegen nach, daß er der erste Schuster in Viernheim gewesen sei, der die Schuhsohlen mit Holzstiften befestigt habe, ein Zeichen, daß dieser Meister Pech in seinem Beruf zu den Fortschrittlern gehörte.

Unser im Volksmund weiterlebende, im Jahre 1936 verstorbene Berndl`s Franz hat auch ein Verdienst, nämlich das, daß er unfreiwilligerweise durch seine verkehrten
Redensarten viel zur Erheiterung seiner Mitmenschen beigetragen hat. Bevor wir ihn
nach dieser Richtung näher beleuchten, wollen wir uns erst mal seine Außenseite ins
Gedächtnis zurückrufen. Er war sehr lang geraten, der biedere Franzl und litt nicht
an Fettleibigkeit. Durch einen Unfall wurde er zum Invaliden. Da in späteren Jahren
seine Invalidität gern angezweifelt wurde, suchte er sie dadurch zu bekräftigen, daß er immer mit einem Stock daherkam. Manchmal fiel er aus der Rolle, besonders wenn ihn böse Buben hänselten. Daß er ihnen dann seinen Stock nachwarf und ihnen nachsprang, hätte das Auge der Unfallversicherung nicht sehen dürfen.
Der Franz hatte keinen bestimmten Beruf, sondern war Gelegenheitsarbeiter. Allzuviel Arbeit schnappte er seinen Mitmenschen nicht weg. Lieber verdiente er sich ein „Viertelchen", indem er seinen Nebenmenschen auf Geburts-und Namenstage, insbesondere auf
Neujahr, seine Glückwünsche entgegenbrachte. Wenn auch die Form meistens misslang, das machte nichts. Seinen Gratulationsgroschen
erhielt der Aufmerksame doch.

Nun aber zu seinen Weisheitssprüchen, die viel die Runde machten. Der bekannteste von ihnen ist der vom Nordwind. „Der darf herkommen, woher er will" meinte der Franz, „der ist immer kalt".

Einmal hörte er im Gasthaus "Zur Harmonie" zu, wie einer behauptete, daß die Viernheimer in den 1880 Jahren alle noch Kappen getragen hätten. Darauf der Franz:"Die hewwe Recht kadde; wonn ich ma wia in Hut kaaf, do kaaf ich ma a e Kapp

Er kam einmal morgens zu spät an seine Arbeitsstätte und wurde gehänselt, er sei eine Schlafmütze. "Ich bin net verschloofe", rechtfertigte er sich, "mei Fraa is niederkumme. Es wa so e schönes, munteres Bübele; schad daß es tot war".

Einmal wurde er von dem nach Amerika ausgewanderten, zu losen Streichen aufgelegten Bierbrauer Renz als Gemeinderat-Kandidat aufgestellt. Auf das betreiben von Renz mußte er in den Wirtschaften sein Wahlprogramm entwickeln. Es enthielt nur einen Punkt und der hieß: "Ich tret`defo ein, daß die Schulkinna samt Lehrer wieder barfuss in die Schul`gee

Er ging einmal in der Dunkelheit mit ein paar Zechkumpanen nach Hause. Da ließ er folgende Weisheit hören: "Ihr Männa, wass isses so dunkel, wie die Katz um de heiße Brei".

An einem eiskalten Wintertag fuhr er einmal nach Worms. "Ich heb ma in Deppisch mitgenumme", erzählte er, "un heb moi Bee um de Deppisch gewickelt."

In der Kirche hielt er einmal sein Gebetbuch verkehrt. Darauf der Franz:" Dess hewwe wia mool moi Racker dehoom gschaffd.......

Einmal war abends auf der Wachenburg "Schloßbeleuchtung". Der Franz mißbilligte diese Verschwendung und sagte anderntags zu einem Freund: "Hoschd die "Schloßbeleidigung" aa gsee? Gell, fa solche Posse hewwe se Färz".


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Die neue Kirche zu den zwölf Aposteln

aus dem Buch "Chronik der Stadt Viernheim von Rektor Hans Mayr aus dem Jahr1948"

Die neue Kirche zu den zwölf Aposteln ist nach jeder Richtung hin ein imposanter Prachtbau, die größte und schönste Landkirche der ganzen Diözese.Sie wurde 1896 bis 1899 durch den erzbischöflichen Baumeister Max Meckel mit einem Gesamtkostenaufwand von 700 000 Mark gebaut. Bauführer war J. Frank aus Dieburg. Die Kirche ist dreischiffig mit Querschiffbau, hat 1700 Sitzplätze und 100 Stehplätze, einen 70 m hohen massiven Turm und wurde am 1. September 1900 durch den Mainzer Bischof Heinrich Brück konsekriert. An den Feierlichkeiten nahm auch die politische Gemeinde regen Anteil. Sie zahlte für Dekorationszwecke 300 Mark. An Nik. Ditsch1. für Böllerschießen 24 Mark und an Matth. Hoock für eine Pulverrechnung 53 Mark.

In den Altären sind Reliquien der Heiligen Modestus, Fausta und Urban zur Verehrung aufbewahrt. Die ersten Glocken stammen aus der berühmten Glockengießerei von Hamm in Frankenthal und waren abgestimmt auf die Töne b - d - f - g. Sie wurden bis auf die kleine Franziskusglocke Mitte März 1942 zu Kriegszwecken abmontiert und in Hamburg eingeschmolzen. Einige Wochen vorher fand ein letztes feierliches Abschiedsgeläute sämtlicher Glocken statt. Die wunderbaren Klänge wurden durch Schallplattenaufnahmen für immer festgehalten.

Wie im ersten Weltkrieg die Glocken ihres Kunstwertes halber vor dem Schicksal der Einschmelzung bewahrt blieben, so hätten sie auch im zweiten Weltkrieg Gnade gefunden, wenn nicht auf den Frachtschein der Eintrag "Gruppe " (Glocken von hohem Kunstwert) in "Gruppe A" (minderwertig) umgefälscht worden wäre. Eine ruchlose Tat sondergleichen, die Pfarrer M.Gremm mit Recht als ein Kulturverbrechen bezeichnete.

Durch Sammlungen, wobei sich der Opfersinn der ganzen Gemeinde vorbildlich erwies und durch eine behördlich genehmigte Glockenlotterie brachte Pfarrer Gremm nach unsäglichen Hemmungen und Schwierigkeiten die Mittel für ein neues Geläute auf. Die bitterste Pille für ihn war, daß durch die am 20. Juni 1948 zur Durchführung gekommene Währungsreform das Sammlerergebnis von rund 100 000 RM auf 10 000 DM zusammenschmolz und er wieder auf`s neue genötigt war, an die Opferwilligkeit seiner Pfarrkinder zu appellieren.

Die vier neuen Glocken wurden am Samstag, dem 6. November 1948, in feierlichster Weise eingeholt, am Martinustag morgens zu Ehren des Stadtpfarrers zum ersten mal und am 13. November 1948 nach der Stadtfeier zum zweitenmal geläutet. Das Geläute erwies sich als Meisterstück der Glockengießerei Kurtz-Stuttgart. Eine vorzüglich redigierte und aufschlußreiche Festschrift, die anlässlich der Weihe erschien und in fast in jedes Haus kam, erübrigt dem Chronisten, das erste große kulturelle Ergeibnis unserer Stadt ausführlicher zu schildern. Sei es nur noch festzuhalten, daß der Viernheimer "Volkschor" am Tage der Glockeneinweihung als Festvorstellung das herrliche Chorwerk von A. Romberg "Das Lied von der Glocke" unter Mitwirkung des Symphonie Orchesters der Stadt Speyer in vollendeter Weise wiedergab. Der Tag der Glockenweihe hatte als Abschluss die Uraufführung des Weihespiels "Die zwölf Apostelglocke" vin Heinz Rippel, eindrucksvoll gespielt von der St.-Apostel-Spielschar. Ü

ber den künstlerichen Wert des Geläutes entnehmen wir dem Gutachten des Domkapellmeisters G.P. Köllner folgenden Passus: "Das vierstimmige Geläute mit dem Motiv "Salve Regina" (b - d - f - g) ist nach dem großen Verlust der Glocken im letzten Kriege das erste große, neuerstandene Geläute der Diözese Mainz. Dem nimmermüden bespielhaften Eifer und der hingebenden Sorge des H. H. Stadtpfarres Martin Gremm und seiner ebenso beispielhaft opfer- und gebefreudigen Pfarrgemeinde St. Aposteln ist durch die Firma H. Kurz-Stuttgart ein hervorragend schönes und künstlerisch wertvolles Geläute zuteil geworden. Es entspricht allen Anforderungen und Erwartungen." Wir führen noch an, daß das hervorragende Orgelwerk unserer Apostelkirche mit seinen 34 Registern im Jahre 1903 von dem berühmten Meister Schimmelbach-Würzburg erbaut wurde.


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Der Kappelberg und die Mönchsgärten

 Der Wanderer, der seine Schritte von Viernheim nach den Badischen Hofgütern Straßenheim lenkt, kommt in der Nähe der Mönchsgärten über einen kleinen Hügel, den Kapellenberg. Auf ihm stand in alter Zeit ein schmuckes Kirchlein, das weithin in der Ebene sichtbar war. Nahen dem Kirchlein lag ein Frauenkloster, das von herrlichen Gärten eingeschlossen war. Seine Nonnen waren als Krankenpflegerinnen und Lehrerinnen bis weit ins Pfälzerland bekannt.

Eines Tages pochte es an die Klosterpforte: ein gar liebliches Mägdlein bat um Einlaß. Es erzählte, sein Bräutigam wäre im Kampfe gefallen und sie sollte gegen ihren Willen die Braut des Ritters von der Burg Windeck werden. Einem herzlosen Wüstling aber könnte sie nicht angehören, wäre deßhalb vor seinen Nachstellungen geflüchtet und bäte um Aufnahme ins Kloster. Gern willfahrte man ihrem Wunsche und sie war bald der Liebling der Nonnen.

Der Ritter von der Burg Windeck hatte den Aufenthalt des Flüchtlings inzwischen erkundet. Eines Abends erschien er mit seinem Troß vor der Pforte des Klosters und forderte frech die Herausgabe seiner angeblichen Braut. Als der Ritter hörte, daß sie schon in den Orden aufgenommen war, erfasste ihn namenlose Wut. Er gab seinen Knappen den Befehl, Kloster und Kirchlein niederzubrennen.

Vergeblich war das flehen der Oberin, vergeblich das weinen und Wehklagen der Nonnen - er kannte kein Erbarmen. Die armen Nonnen entflohen entsetzt und waren schließlich froh, ihr nacktes Leben gerettet zu haben. Der Sonne Morgenstrahl traf nur noch rauchende Trümmerhaufen.Fleißige Bauern schafften sie mit der Zeit hinweg und wo früher Klosterfrauen frome Psalmen sangen, da geht jetzt der Pflug. Die Namen Kapellenberg und Mönchsgärten erinnern aber noch an die geweihten Stätten.


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Der Stutz (1849 - 1912)

"Wer es noch einmal wagt
und Stutz zu mir sagt,
der wird vom Nikolaus Englert verklagt"

Diese originelle Warnung war nach 1900 in einer Nummer des Viernheimer Lokalblattes zu lesen. Sie verfehlte aber ihre Wirkung. Der ursprüngliche Kleinlandwirt und spätere Markler und Viehtreiber Nikolaus Englert, wohnhaft in der Weinheimerstrasse, aber ganz abseits, neben dem Gastaus "Zum Pflug", war und blieb der Stutz bis zu seinem Ende. So abseits wie er wohnte, so abseits gingen auch seine Wege.. Er war ein Junggeselle, ein Eigenbrötler und sonderling erster Klasse, der das Alltagskleid vollständig mied und in allem seine eigenen Wege ging. Sein Wahlspruch war: " Was soll ich mit meinem Kopf machen, wenn ich anderen folgen soll?"

Wenn die anderen im Februar und März ihre Gerste säten, schmunzelte der Stutz daob und säte sie im April Mai. Legten andere ihre Kartoffeln im April Mai, der Stutz steckte sie im Juni. Fuhren die anderen müde vom Felde heim,fuhr der Stutz mit seiner abgemagerten Rosinante hinaus. Am liebsten säte und mähte er bei Mondschein. Als einmal mitten in der Nacht seine Scheuer abbrannte, mußte man ihn von der Feldarbeit heimholen. Er war bei Klee mähen- Seine Äcker kannte man schon von weitem.Sie waren stets hoch überwuchert von Unkraut und Disteln. Aber seine Äcker blieben ihm nicht und sein Häuschen ebensowenig, denn unser Stutz war ein Prozeßhansel ersten Ranges und verlor einen Prozeß nach dem anderen. Er verklagte Gott und die Welt, verklagte die Gemeinde und den Oberamtsrichter von Lorsch. Wenn man ihn hörte war er immer im Recht. Fand er dies vermeintliche Recht nicht auf dem Rathaus, dann ging`s an`s Amtsgericht; fand er es dort nicht, ging`s ans Landesgericht. Einmal pilgerte er zu Fuß bis ans Reichsgericht nach Leipzig und wieder zurück. Er war drei Wochen unterwegs. Was er dort ausgerichtet, darüber schwieg er sich aus. "Hinterm Berg wohnen auch noch Leute", pflegte er zu sagen, wenn er gegen ein Urteil Berufung auslegte.

Vor Gericht wo ihm stets sein Gönner der Rechtsanwald Dr. Köhler, Mannheim, Beistand leistete, hatte er stets ein recht loses Maul, das ihm manche Ordnungsstrafe eintrug. Einmal hatte er einen Prozess, in dem sich der damalige Tierarzt Dr Hauk über das Alter eines Pferdes zu äußern hatte. Als der Tierarzt das Streitobjekt nicht nach den Wünschen des Stutz einschätzte, bat dieser ums Wort. Amtsrichter:"Was wollen sie dazu sagen, Kläger?" Stutz:" Ich wollt nur sagen, daß der Viehdoktor da dem Gaul ins Maul gekuckt hat; er hätt ihm leichter den Schwanz in die Höh gehoben und hinten reingekuckt, so viel versteht der vom Alter eines Gauls".

Ein anderer Fall: Der nach Amerika ausgewanderte Bierbrauer Georg Renz, der gerne zu übermütigen Streichen aufgelegt war, stellte einmal bei einer >Gemeinderatswahl eine Wahlliste zusammen, auf die er als Kandidaten den Stutz, den Berndl`s Franz und den Ringhofe Weiß gesetzt hatte und zwar mit ihren Unnamen. Das war ein fressen für unseren Stutz! Noch am gleichen Tage suchte er seinen Rechtsanwald in Mannheim auf, der an Renz eine geharnischte Erklärung ergehen lies, daß sich sein Klient nicht Stutz, sondern Nikolaus Englert heiße und daß er sich nicht zum Gespött der Wähler machen lasse. Um einer Klage auszuweichen, zahlte Renz eine Abfindung von 300 Mark.

Ein Fall, der viel Heiterkeit erregte, lag folgendermaßen: In der Wirtschaft "Zum goldenen Anker" wurde an einem Stammtisch scherzhafter Weise die Frage diskutiert, ob es nicht angängig wäre, dem Lokaldichter Konrad Winkenbach, genannt "Mohler" (von dem gibt es auch eine Geschichte) noch bei Lebzeiten ein Denkmal zu setzen. Stutz saß in der Ecke und stutzte die Ohren. Am nächsten Morgen fand man auf der Treppe des Dichters ein höchst unvorschriftsmäßiges "Denkmal", das mehr durch seinen Geruch als durch seine Schönheit auffiel. In Verdacht, das Denkmal gesetzt zu haben, kam der Stutz. Kurz darauf traf ihn der Judenjunge Albert Wolf und fragte: " Stutz, ist`s wahr, habt Ihr dem Dichter Winkenbach so ein schönes Denkmal gesetzt?" " Das mußt büßen Jud`!" gab Stutz zurück, ging auf`s Rathaus und verklagte den Sünder. Beim Sühnetermin kam es zum Vergleich unter der Bedingnung, daß der Judeaußer einer Buße dem Beleidigten 20 Mark auszahlte. Der Beklagte zahlte gern und Stutz steckte schmunzelnd das Honorar für sein zweifelhaftes "Denkmal" ein.


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Der Ober (1854 - 1938 )

Als unsere ehemalige Natur - und Freilichtbühne "Andreas Hofer" spielte 1935), da fiel unter einem Zug von Flüchtlingen ein markanter achtziger mit langem, wallenden Vollbart auf. Es war unser "Ober", auch Salzer genannt, mit richtigem Namen Johann Kühlwein 6. . Pünktlich fand er sich jeden Spielsonntag ein und schmuntzelte vergnügt, wenn er nach Erledigung seiner Rolle in der Erfrischungshalle als Anerkennung für sein Gastspiel einige Schoppen "petzen" und ein Pärchen heiße Würstel "verdrücken" durfte.. "Ich wollt das Spiel wär jeden Tag, ich tät nix versäumen", so ließ er sich mehr wie einmal hören. Die "Heimatblätter" haben diesen originellen Alten in ihren Spalten einmal festgehalten und nun soll er auch ein Plätzchen in unserer Chronik finden. Das Blatt kennzeichnet ihn folgendermaßen: Er ist vor einiger Zeit, 84 jährig, in die Ewigkeit eingegangen.. In seinen guten Jahren war er weit und breit bekannt als Wild- und Scharfschütze. Um seine Schützenkunst zu veranschaulichen, ging von ihm folgendes Gleichnis um:

Einmal, so erzählt man sich, spielten einigen Hasen draußen im Feld Karten. Da sahen sie in der Ferne drei Jäger kommen. Zuerst kam der Kohl`sche (Jäger Georg). Da sagten die Hasen: "Erst Spielen wir noch eine Runde". Dann erkannten sie den zweiten Jäger, "den Abscher" ( Schalk Franz). Da sagten sie: "Es pressiert noch net". Zuletzt kam der"Ober". Da sagten die Hasen: "Jetzt ist`s Zeit, macht die Karten zusammen". Zahllos sind die Streiche, die der "Ober" in seiner Jugendzeit verübte. Einer der bekanntesten ist der, wie er einmal die Ziegen von der Holzstrasse auf den Bettenbuckel trieb

Dort hatte in den 1870er Jahren der damalige Bürgermeister Bläß einen schönen Acker mit frischem, saftigen Klee. Das Ortsoberhaupt scheint dem "Ober" und seinen Kumpanen, dem Haase Peter, dem Schalks Peter und den Lenzezwillingen,. nicht grün gewesen zu sein. Jedenfalls hatten die Burschen offenbar Grund, ihm einen Streich zu Spielen. Damals war die Geiß noch mehr als heute die "Kuh des kleinen Mannes" und die Bewohner in der Holzstraße hatten genug davon . Arm wie die Leute damals waren, hatten sie an ihren Häusern kleine Hoftore, so niedrig, daß man über sie hinwegspringen und sie auch leicht aus den Angeln heben konnte.

Es war eine laue Juninacht. Müde von der Arbeit einer ganzen Woche schliefen die Hausbewohner tief und fest in den Sonntag hinein. Da kamen auf leisen Sohlen der "Ober" und seine Kumpane geschlichen. Jeder hebt ein Hoftor aus, nimmt es auf den Rücken und trägt es nach dem Bettenbuckel, auf den Kleeacker des Dorfschulzen. Mit den Hoftoren wird ein richtiggehender Schafpferch gebaut. Dann gehn sie wieder zurück und führen die Schafe fort. Eine nach der anderen, wohl zwei Dutzend, werden an der Kette nach dem Bettenbuckel geführt. Dabei geht es ganz heimlich zu. Alles ist gut verabredet und durch Horchposten gesichert, daß nicht einmal der Polizeidiener etwas davon merkt.

Morgens in der Frühe kommt der Feldscherer Haas, der nach Straßenheim will, um dort die "Herren"zu rasieren, an dem Kleeacker vorbei. Er hört die Geißen in ihrem Pferch meckern und läuft ins Dorf zurück. "Draußen auf dem Bettenbuckel ist ein Pferch aufgeschlagen und die Geißen drin haben so dicke Bäuche und Euter" rief er. Die Leute rannten nach ihren Stall und als sie dort die Ziegen nicht fanden auf die Straße und als sie hörten, was vorgefallen war, nach dem Straßenheimer Weg, wo ihre Tobiaskühe noch vergnüglich kauten. Die Holzsträßler waren über den Streich, den man ihnen angetan hatte, nicht einmal böse, sondern sagten: " Wenn nur am nächsten Sonntag wieder einer käme, um unsere Geißen auf des Schulzen Kleeacker zuführten!" Nur einem war es nicht ganz heiter zu Mute. Aber auch dem blieb bei dem allgemeinen Gelächter nichts übrig, als gute Mine zum bösen Spiel. machen.


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Die Geschichte vom Viernheimer Glockenbuckel

Nachdem die Hauptbahn auf der Strecke Viernheim - Lampertheim den Wald erreicht hat, fährt sie an einem lang gestreckten Sandhügel dahin, Glockenbuckel genannt, mit dem es folgende Bewandtnis haben soll:
Die Viernheimer Kirche besaß in alter Zeit zwei wunderbare silberne Glocken, die als ein Heiligtum betrachtet wurden, und groß war deshalb die Besorgnis um sie, als sich die Schrecken des dreißigjährigen Krieges auch in dieser Gegend fühlbar machten. Eines Tages verbreitete sich die Kunde von dem heranrücken der Schweden. Der Küster und ein zweiter Kirchendiener erhielten den Auftrag, die Glocken vor dem nahen Feinde in Sicherheit zu bringen und sie vergruben deshalb die kostbaren Kleinodien im nahen Walde. Die Schweden kamen, sie hatten von dem Viernheimer Silberschatz bereits Kunde und freuten sich schon auf die reiche Beute.Um so größer war ihre Wut, als sie sich geprellt sahen.Erbarmungslos wurden der Küster und sein Helfer nieder gehauen, so daß sie den Ort nicht mehr angeben konnten. Aber bald raunte einer dem anderen zu, daß wohl der Sandhügel am Lampertheimer Weg die Glocken bergen müßte, da Feldarbeiter des öfteren vom Hügel her seltsame Klänge gehört habe wollten. - Mancher Schatzgräber versuchte daraufhin in nächtlicher Stunde sein Glück, erntete aber für seine Verwegenheit lediglich eine Ohrfeige von unsichtbarer Hand.
Eines Tages pflügte ein junger Bauermann in der Nähe des Glockenbuckels seinen Acker. Müde und hungrig machte er um die Mittagsstunde Rast, setzte sich auf seinen Pflug und begann sein Brot zu verzehren. Da tauchte plötzlich ein altersgraues Männlein vor ihm auf, redete ihn an und sprach:"Jüngling teile dein Brot mit mir, ich werde dir danken!" Der junge Bauer verspürte aber keine Lust zur Teilung und weis den Bittenden ab. Da zog es wie ein Schatten über das vergrämte Gesicht des Alten und vorwurfsvoll kam es von seinen Lippen: "Du bist ein Tor, du kennst die Wahrheit des Wortes nicht, daß alles doppelten Wert erhält, was man mit seinen Mitmenschen teilt. Hättest du darnach gehandelt und mir von Deinem Brote gegeben, so hätte ich dich glücklich gemacht, die die Stelle gewiesen, wo die beiden Silberglocken verborgen liegen, und du hättest sie heben dürfen." Im selben Augenblicke wurden hoch über den Bäumen des nahen Waldes zwei silberhell tönende Glocken sichtbar, umstrahlt vom Glanze der Sonne, so blendend hell, daß der Jüngling ihren Anblick nicht ertragen konnte.
Das Männlein aber ging zu einer nahen Eiche, bog einen Zweig herunter, brach eine Eichel davon ab und fuhr fort:"Siehe, diese Frucht stecke ich in die Erde. Ein mächtiger Eichenbaum wird daraus entstehen und aus den Bretter seines Stammes eine Wiege gezimmert werden. Das erste Kind das in dieser Wiege zu liegen kommt, darf ich, wenn es zu einem Jüngling herangereift ist, wieder auf die Probe stellen, ob es Wohltun und Barmherzigkeit kennt, und in diesem Falle die Glocken heben lassen. Bis dahin kann ich im Grabe keine Ruhe finden, sondern muss bei dem Silberschatz Wache stehen; denn höre und vernimm mit Grauen: Ich bin jener unglückliche Krieger, der dem Küster den Todesstreich versetzt hat.Zur Strafe dafür muss ich unglücklicher im Grabe erst dann zur Ruhe kommen, wenn die Silberglocken wieder oben auf dem Turm ihren hehren Zweck erfüllen!" Vom Walde her tönte nochmals ein wunderliebliches Klingen, und Männlein und Glocken waren verschwunden.
  


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Der Prophet von Viernheim

Der Prophet von Viernheim nach pfarramtlichen Aufzeichnungen des Dekan Baumann im Wortlaut wiedergegeben: Im Jahre 1850 trat hier der 14 jährige P.T. als Prophet auf, der vorgab, er sei von einem höheren Geiste inspiriert, habe die Gabe der Weissagung und auf Grund dessen kündigte er das nahe bevorstehende Weltende und andere schreckliche Ereignisse an. Dieser T. war der Sohn unbemittelter Eltern. Verschiedene Unglücksfälle bewogen den Ortsvorstand, der Familie ein Armutszeugnis auszustellen und der Unterstützung wohltätiger Menschen zu empfehlen. P.T. war im Besitze von Turteltauben, welche er - mit dem angeführten Zeugnis versehen - in der Umgebung für Geld sehen ließ und es scheint, daß auf diesen Umzügen der Grund zu seinem künftigen Verderben gelegt wurde, denn es dauerte nicht lange, so fing T. an, sich für einen Wunderknaben auszugeben, der mit der höheren Geisterwelt in Verbindung stehe. Er sprach von Visionen und Offenbarungen, hielt jede Woche zwei bis dreimal seine, wie es hieß, verzückten Stunden, bei welchen jedesmal eine große Anzahl leichtgläubiger Menschen von hier und der ganzen Umgebung und zwar von allen Konfessionen, sich einfanden, die T. reichliche Spenden zufließen ließen, wobei sich der neue Prophet und seine Eltern, die in größter Bedürftigkeit lebten, sehr wohl befanden. In dem Maße, in welchem die Leichtgläubigkeit seiner Zuhörer zunahm, vermehrte sich auch seine Dreistigkeit in der Verkündung der bevorstehenden Ereignisse, von denen begreiflicher Weise keines in Erfüllung gegangen ist.

Diese Albernheiten von seiten dieses unglaublichen Jünglings wäre einigermaßen noch zu ertragen gewesen, wenn T. nicht seine Zuflucht zu Lügen genommen und sich anderer schwerer Vergehen schuldig gemacht hätte. So wurde er von dem jetziger Pfarrer befragt, wie er zu diesem abenteuerlichen Benehmen gekommen sei. Da erwiderte er mit einer unverschämten Frechheit. Er sei mal an der Jesuitenkirche in Mannheim vorüber gegangen und da habe ihn sein Schutzengel unter den Armen gefaßt und habe ihn im Fluge nach Oggersheim getragen und in der dortigen Muttergotteskapelle niedergesetzt. Auf die Androhung man würde ihm für diese Lüge eine tägliche Züchtigung zukommen lassen, widerrief er diese Behauptung. Da nun T. in Viernheim für seine Prophezeiungen keinen rechten Glauben mehr fand, wählte er das benachbarte Heddesheim, in welchem er viele gläubige Anhänger und Verehrer zur Fortsetzung seiner strafbaren Handlungen zählte. Von dort wurde er einmal an das Oberamt Ladenburg abgeführt und zu einer Gefängnisstrafe von drei Monaten verurteilt. Nicht nur schon früher , sondern namentlich in der letzten Zeit besaß Träger bedeutend viel Geld. Macht für seinen Stand schwer zu erklärenden außergewöhnlichen Aufwand, ließ die zerfallene Hofreite seiner Eltern mit großen Kosten wieder herstellen, schaffte sich Kanapees, Federmatratzen, feines Porzellan und dergleichen an, bezahlte alles bar, zechte in Wirtshäusern, steckte sich in die feinsten Kleider und trieb seinen Übermut so weit, daß er ohne alle Vorkenntnisse ein höheres Lehrinstitut in Weinheim besuchte.

Obwohl längst schon bei dem größeren und besten Teil der Gemeinde als Lügner und Betrüger bekannt, hatte T. immer noch , wenn auch eine geringe Zahl von irregeführten Menschen um sich, welche ihn im stillen anhingen. Aber auch viele die T. bisher zu täuschen verstand, sinn zur Besinnung gekommen, besonders als er einmal im Hause des Schuhmachers S. in unsittlichem Umgang betroffen wurde, bei welchem er die Nacht hindurch ausgekleidet im Bett zubrachte und den anderen Morgen, als der Hausherr die Magd zur Arbeit weckte, mit Zurücklassung seiner Uhr und Stiefel die Flucht durchs Fenster nahm. Ungeachtet dieser Rückkehr vieler Anhänger zur besseren Besinnung,dauerten doch die abendlichen Versammlungen fort und es hier angeführt werden, was in denselben vorging: "Frauen in vorgerücktem Alter gingen in ihrem Fanatismus so weit, daß sie die Knie beugten, ehe sie sich dem Bett des prophezeienden Betrügers nahten. Ja, sie gingen noch weiter: Sie veranlaßten diesen unglücklichen Jungen, sich entkleidet an ein mitgebrachtes Kreuz zu stellen, seine Hände, Füße und Seite küssen zu lassen mit der Annahme, es sei geradeso gut, als wenn sie die Wunden Jesu küßten. Weiter kommt noch, daß de Junge in seiner Behausung eine Art von Messe las, auch Beichte hörte und die Kommunion austeilte, wobei ein gewisser J.B. sich dahin aussprach, er habe noch nie einen solchen Beichtvater gefunden, wie den Propheten P.T.

Dieser Abschnitt ist aus Sittlichkeitsgründen etwas gekürzt. (Anmerkung der Chronisten)

Nun nahte das Schicksal. T. wurde vertraut mir einer Heddesheimer Ehefrau Namens Sch., die in mit Geldgeschenken überhäufte. Er brachte wochenlang bei derselben zu und pflegte ehebrecherischen Umgang, der damit endigte, daß die Sch. diesem P.T. versprach, ihn zu heiraten, wenn sich dieser hergeben würde, Ihren Ehemann aus dem Weg zu schaffen. Lange zögerte T. mit der Ausführung dieses Ansinnens, bis er endlich den Zudringlichkeiten dieses lasterhaften Weibes nachgab. Der Mann mußte an einem Sonntag nach Viernheim gehen, um daselbst in der Frühe zu beichten und die Kommunion zu empfangen, weil das abscheuliche Weib bei der Untersuchung sich dahin erklärte, sie hätte doch ihren Mann nicht ohne Sakramente sterben lassen wollen.

Der P.T. verfügte sich am gleichen Nachmittag nach Heddesheim in die Wohnung des zum Opfer bestimmten Ph. Sch. und hielt sich daselbst bis zum Abend gegen 6 Uhr - es war im Februar - auf. Das gottlose Weib fingierte die heftigsten Kopfschmerzen und bat ihren Ehemann, ihr eine Arznei in der Apotheke zu Viernheim zu holen. Sch. , wahrscheinlich von böser Ahnung ergriffen, entschuldigte sich damit, es sei ihm schon zu spät, weshalb er sich fürchtete. Sie wurde immer zudringlicher mit ihrer Zumutung und sagte endlich: "Geh nur hin, der P. ist ja bei Dir", worauf er sich endlich bewegen ließ, den Weg nach Viernheim anzutreten, wobei die Sch. beim weggehen noch sagte: "P....chen, mach nur Deine Sache recht gut" und ihm noch einen Kronentaler in die Hand drückte, damit er noch am selben Abend Wirtshäuser besuchen könne. Angekommen an der badisch-hessischen Grenze, rief P. plötzlich aus:" Oh, ich sehe am Himmel eine schöne Prozession, wir wollen niederknien und beten." Als der Schäfer dakniete, gab ihm der Sünder siebzehn Hiebe mit dem Beilchen auf den Kopf, bis er sein Leben ausgehaucht hatte. T. eilte nun, von Gewissensbissen gejagt, mit Blitzesschnelle nach Viernheim, um bei etwaigem Verdacht sein Alibi nachweisen zu können. Noch an dem selben Abend wurde Sch. Leiche auf dem Gesicht liegend, gefunden und nach Heddesheim gebracht. Nicht ein Laut des Schmerzens entfuhr dem unnatürlichen Weibe, was den ersten Anlass zu ihrer Verdächtigung gab. Sie wurde daher nebst ihrer älteren Schwester festgenommen und an das Amt Ladenburg abgeführt. Anfänglich hatte die Untersuchung keinerlei Resultat. Aber es dauerte nicht lange, so wälzte sich die ganze Wucht von Verdachtsgründen auf T.. An dem Faschingstage, wo in den hiesigen Wirtshäusern Tanzmusik war, wurde er hinterlistigerweise von badischen Burschen in die Falle gelockt und in der selben Nacht nach Ladenburg gebracht. Die Ehefrau des Ph. Sch. und ihre Schwester wurden von dem Assisengericht zu lebenslänglicher Zuchthausstrafe, T. in Anbetracht seiner Jugend - er war damals noch nicht ganz 17 Jahre alt - zu einer Zuchthausstrafe von 16 Jahren durch das Gericht in Darmstadt verurteilt. Nach dem Zeugnis seines Gefängnisgeistlichen hat T. seine großen Fehler schon sehr bereut. Er gibt seinen Mitgefangenen stets ein gutes Beispiel und hat bis jetzt seine Strafzeit dazu benützt, sich zu einem recht tüchtigen Schreiner und Bildhauer vollständig auszubilden.

Es folgen nun 2 Brief des T. , gerichtet anm den Bürgermeister und an seine Eltern, die bei den Gemeindeakten liegen. Sie lauten:

Marienschloß, den 26. April 1863 Hochverehrtester Herr Bürgermeister! Es ist Ihnen wie allen anderen Bewohnern unseres Ortes nur zu gut bekannt, wie ich gleichsam als Kind, noch unerfahren, schon zu einem Schritte verleitet wurde, den ich, als er kaum geschehen, schon bitter bereute, doch zu spät, ich konnte ihn nicht ungeschehen machen.Alle >Belohnungen meiner Verführerin weis ich zurück, beweinte im stillen meinen Fall und fügte mich in das bald darauf über mich verhängte Schicksal einer 16 jährigen Zuchthausstrafe. Die hälfte derselben habe ich nun verbüßt und sie für mein zeitliches und ewiges Heil nützlich angewendet und so ist endlich für mich die Zeit gekommen, wo ich hoffen darf, die ach so ersehnte Freiheit bald zu erhalten und umsomehr, wenn der löbliche Gemeindevorstand geneigt wäre, das Gnadengesuch, das nun mein Vater für mich machen läßt, dadurch zu unterstützen, daß er in demselben mir die fehlenden Mittel zur Auswanderung beglaubigen wolle. Mögen sie darum Herr Bürgermeister, der Bitte eines Unglücklichen, der die schönste Zeit seiner Jugendjahre im Gefängnis vertrauert, Gehör schenken und seine Hoffnungen nach der lang entbehrten Freiheit in der Willfahrung seiner Bitte fördern: Ich werde hierfür auf alle meine Gemeinderechte Verzicht leisten und dem wohllöblichen Gemeindevorstand ewig dankbar sein. Hochachtungsvoll P.T.

So jetzt fange ich den letzten Brief von T. an..........

"Lieber Vater und Geschwister! Euren mir so werten Brief habe ich erhalten und daraus zu meiner Freude ersehen, daß Ihr noch gesund und munter seid, dies ist immer eine beruhigende Nachricht für mich, denn seitdem unsere liebe Mutter, die ich so gerne noch einmal gesehen hätte, in das Grab gesenkt wurde, beschleicht mich immer eine gewisse Unruhe und Besorgnis, es möchte eins oder das andere von Euch krank sein, wenn ich etwas länger als ich es gewohnt bin, auf einen Brief warten muss., Also ein Beweis, wie leicht ein Herz von Besorgnissen erfüllt wird, den Verlust eines zweiten theuren Wesens beweinen zu müssen, wenn es einmal eines schon beweinen mußte. Denn erst die Trennung lernt uns oft wahrhaft nur die Größe unserer Anhänglichkeit und Liebe ermessen, die wir in unserer Brust für sie gehegt haben. Darum, lieber Vater und Geschwister, kann ich nie vergessen, wenn ich bete, auch Gott recht innig zu bitten, daß er Euch noch recht lange gesund und wohl erhalten möge.Und das war auch einer meiner heißesten Wünsche beim Beginn des neuen Jahres. Oh, er...

Auch ihr Bruder Georg, der ein Recht schöner Mann geworden ist, hat mich mit einigen geistlichen Herrn vor einiger Zeit besucht un mir recht aufmunternde Worte gesagt, und da ich gerade ein Pultchen auf den Hochaltar in die hiesige Kirche fertig hatte, sich recht über meine Arbeit gefreut, wobei er mir die Auswanderung abgeraten, indem er glaubte, daß ich meine Freiheit auch so erhalten werde, indem ich meine Zeit gut genutzt hätte. Und so hoffe ich mit einer fast stürmischen Ungeduld, wobei ich mir doch von Zeit zu Zeit sagte, zum Dableiben wirst du nicht begnadigt, als ich las daß die Schrift zum Dableiben gestellt ist, und so kam es auch. Nun lieber Vater und Geschwister, gebietet mir die Pflicht meiner Selbsterhaltung, einen ernsten Entschluss zu fassen, und der ist, die schöne Hoffnung, in Eure Arme zurückkehren zu dürfen, aufzugeben und mich zur Auswanderung zu entschließen, gleichviel wohin, wenn nicht durch die Jahre meine Gesundheit gänzlich zu Grunde gehen soll. Nun lieber Vater, habe ich mir die Mittel für die Überfahrt nach Amerika hier verdient,da mir aber noch das Geld für Kleider und einige Gulden auf die Hand fehlen, so bitte ich Euch, geht zu Herrn Bürgermeister Keller mit diesem Brief und bittet ihn, , daß er diesen Monat noch eine Beglaubigung, daß mir das Fehlende wenn Gnade erfolgt, von der Gemeinde Viernheim vorgeschossen wird, mit dem Ortssiegel versehen an die Großherzogliche Zuchthausdirektion schicken möge, indem ich Ende dieses Monats bei Herr Direktor Oberst Trumpler um die Erlaubnis, ein Gesuch einreichen zu dürfen, bitten werde, wobei ich mich ausweisen muß, daß ich hinreichende Mittel dazu besitze. Versäumt darum ja nicht, lieber Vater, verbürgt Euch mit einigen Allmendstücken dafür, ich hoffe es in einem Jahr mit Dank zurückzahlen zu können. Nun will ich schließen. Mit der festen Überzeugung, Daß Ihr ja nichts versäumen werdet, grüßt Euch sowie alle, die meiner noch mit Theilnahme gedenken,recht herzlich. P.T

T. wanderte 1864 nach Amerika aus und blieb seitdem verschollen.



9

Der Schalks Franz (1856 - 1906)

Er wog beinahe 3 Zentner, der ehemalige Gastwirt und spätere Weinreisende Franz Schalk, obwohl er nur 1,66 in die Höhe ging. Ursprünglich war er "Hotelier" in der Handwerksburschenkneipe " Zum schwarzen Adler". Es waren oft 20 - 30, mitunter recht zweifelhafte Gesellen, die bei ihm ihre erfochtenen Groschen verzechten und Unterschlupf suchten. Unser Herbergsvater nahm sie bereitwillig auf, hatte aber stets einen Farrenschwanz zur Handhabung von Zucht und Ordnung bereit. Regten sich die Alkoholgeister und gab es tätliche Auseinandersetzungen, dann ließ er unbarmherzig sein Ordnungszepter auf dem Rücken der Streitenden tanzen.
Da seine Gäste von der Landstraße nicht immer ganz Ladenrein waren und seine Betten nicht für Kleintierzucht bestimmt, mußten alle verdächtigen Schlafgänger im Adamskostüm ihre Lagerstätte aufsuchen. Wer sich weigerte, konnte bei Mutter Grün übernachten.Der Franz wurde später "Schützenhof"-Wirt. Seine treue Ehehälfte, die dicke "Schalks Käth", war eine ebenso treffliche Wirtin wie Franz ein geborener Wirt. Daß sie auch, eine vorzügliche Köchin war, kam nicht nur den zahlreichen Gästen zugute, sondern insbesondere ihrem Franz, der immer mehr an Körperfülle zunahm und ein wahres Ungestüm von Bauch mit herumschleppen mußte.

Gern spiele er folgenden Schabernack: Wenn sich einer vor ihn stellte und mit ihm sprach, dann zeigte er sich manchmal schwerhörig und sagte verschmitzt:"Freundchen, komm etwas näher, ich hör schlecht". Dann zog er seine Bauchkugel ein und ließ sie wieder derart vorschnellen, daß der verulkte mehrere Schritte zurücktaumelte. Wie herzlich konnte dann unser Dickerle lachen!.
Den alten Viernheimern ist heute noch das Zwiegespräch zwischen Franz und dem jüdischen Metzger Meyer geläufig. Die beiden hatten sich in der Hauptstraße getroffen. Sagte der Jude: "Du, Franz, ma moont, Du heescht e Kalb im Bauch!" Lachte der Franz und Klopfte sich behaglich auf den Leib: "Des is lauter Woi(n), Ferdinad." "Ach Woi(n), gab dieser zurück, "des glaabt Dir kon Hutmacher!" "Wonns net Glaabscht, konnscht jo mol am Spundloch rieche"..... So weit soll aber den Frager seine Neugierde doch nicht getrieben haben."Aus nichts wird nichts" , Pflegt der Volksmund zu sagen. So wars auch beim dicken Franz. Sein Bäuchlein verlangte gewaltige Zufuhren und sein Appetit wurde sprichwörtlich. So ein selbst geschossenes Häslein in der Pfanne - unsert Franz war nämlich nebenbei auch Jäger - und eine Schüssel voll "Geröstete" dazu, war dem Jagerfranz eine Kleinigkeit! Einmal war er gerade dabei, die große Schüssel mit dem gebratenen Langohr in die Gaststube zu tragen . Auf dem Gang stieß er auf einen Handwerksburschen. Der erfaßte die Situation, langte sich einen saftigen Hinterschlegel heraus und lief davon. Der Dicke konnte nichts dagegen machen, wenn er nicht die Schüssel fallen lassen wollte, Gutmütig meinte er: "Na, losse mers em! For mich wärs doch blos e Maulvoll gewest".
Die letzen 10 Jahre seines Lebens war unser Jägerfranz Weinreisender für die Weinfirma X in Darmstadt. Es war alles weniger wie Traubensaft, was er für das Darmstädter Panschgeschäft an den Mann zu bringen hatte. Aber dem populären, urgemütlichen Franz mit seiner Pfeiff im Mund gaben die Konsumenten nur selten einen Korb, und so machte er immer gute Geschäfte, besonders in seinem geliebten Odenwald.

 

Dort besuchte er fleißig seinen intimen Freund und Partner, den dicken Schorsch Röde von Fränkisch-Krumbach. Der war mir seinen 4 1/2 Zentnern eine Sehenswürdigkeit und mußte auf zwei Stühlen sitzen. Ganze Vereine kamen oft Sonntags angerückt, um das dicke Wunder zu bestaunen.
Einmal geschah es, daß sich zu den zwei befreundeten "Dickerle" noch ein dritter gesellte. Es war ein Darmstädter Bäckermeister. Die drei ließen sich zusammen wiegen, und es ergab sich das respektvolle Gewicht von glatt 10 Zentnern. In langstündiger Sitzung wurde das Erlebnis begossen.
Ein andermal kam er spätabends in die Gesellschaft "Frohsinn". Er hatte nach seiner Angabe ausnahmsweise keine besonderen gute Geschäfte gemacht und sich deshalb tagsüber nur -- 30 Viertele -- erlauben können. Im frohen Zecherkreise setzte er noch 10 drauf, dabei munter zitierend:
Paulus schrieb an die Korinther:
"Saufet wie die Bürstenbinder!"
Im 50. Lebensjahr beschloß der dicke Franz überraschend schnell sein feuchtes Pilgerleben. Nur selten sah man in Viernheim einen so großen Leichenzug.