Das Ortsgefängnis reichte nicht aus.

Mit Tabak wurde nicht nur nach dem ersten und zweiten Weltkrieg „geschoben“, sondern vor über 150 Jahren auch. Wie kam das? Am 14.2.1828 gründeten Preußen und Hessen-Darmstadt den Zollverein, zur Bereicherung das Staatssäckels. Am 1.1.1834 trat der allgemeine Zollverein in Kraft. Wegbereiter waren Hessen und Preußen. Vorher waren unsere badischen Nachbargemeinden Zoll-Ausland. Als Zollbeamter fungierte in Viernheim der „Acziser“ Winkler, dessen Nachkommen heute noch den Beinamen „die Aczisers“ haben. Der Zoll für einen Zentner Tabak war damals 6 Gulden und 40 Kreuzer. Die Schieber wurden damals Zolldefraudanten genannt. Ihre Tätigkeit bestand darin, Tabak unter Umgehung des Zolls aus dem benachbarten badischen Gemeinden in Viernheim „einzuschwärzen“, wie es die Akten besagen, heimlich weiterzuverkaufen oder verarbeiten. Eine Verfügung des Kreisrats in Bensheim vom 13.12.1832 lautet – auszugsweise -: An den Bürgermeister in Viernheim.

Ich habe in Erfahrung gebracht, daß zum großen Nachteil der Einwohner von Viernheim, besonders die ärmeren Klasse, Tabak aus dem Ausland eingeschwärzt wird. Ich beauftrage Sie daher die Nachtwachen zu verdoppeln und bekannt zu machen und den Befehl zu geben, daß jeder, der zur Nachtzeit bei der Einfuhr von Tabak betreten wird, arretiert werden soll. Der arretierte Tabak ist in sichere Verwahrung zu bringen und die Sache sofort hierher zu melden.

Bürgermeister Beikert antwortete, daß Vorsorge getroffen sei. Die vier Mann der Nachtwache, die drei Polizeidiener und die beiden Nachtwächter hätten strenge Weisung erhalten, jeden Defraudanten sofort zu arretieren.
Am 21.7.1833 schärfte der Kreisrat dem Bürgermeister wiederholt ein, alles zu tun, damit der Schwarzhandel heruntergedrückt würde. Dem Unfug und Schleichhandel müsse gesteuert werden. Alle Tabakverkäufe hätten nur über die Gemeinde-Tabakwaage zu gehen und zwar im Beisein des Zollbeamten.
Der Zollbeamte Winkler gab am 7.8.1833 bekannt, daß diejenigen Viernheimer, die auf ihren Äckern im Großherzogtum Baden Tabak bauen, diesen zollfrei einführen dürfen, wenn sie ihr ununterbrochenes Besitztum an diesen ausländischen Grundstücke seit dem 27.1.1826 nachwiesen, vor der Tabakernte dies ihm anzeigten, desgleichen den Tag der Ernte, Tag und Stunde der Einfuhr nach Viernheim - unter Vorzeigen des Tabaks bei dem Zolleinnehmer.
Es wurde weiter Tabak „eingeschwärzt“. Warum diese Vergehen zum Nachteil der Viernheimer Einwohner , insbesondere der ärmeren Klassen, gereichen sollten, ist nicht ganz erklärlich. Den Nachteil hatte doch lediglich der Fiskus.
Nun zu verschiedenen Defraudanten:
Das Landgericht Lorsch verurteilte am 15.9.1829 die Viernheimer Franz Martin, Johann Thomas, Valentin Hook, Georg Helbig, Josef Nägel und Wendel Helbig zu einer Geldstrafe von 410 Gulden, bei Uneinbringlichkeit zu 364 Tagen Gefängnis. Die ersten vier mußten am 19.9.1829 nach Lorsch ins Gefängnis, die drei letzten in das Ortsgefängnis. Das Landgericht verfügte weiter, daß wenn das Ortsgefängnis (Betzenkammer) so viele Individuen gleichzeitig ohne Nachteil für die Gesundheit nicht aufnehmen könne, die Überzähligen ebenfalls nach Lorsch verbracht werden müßten.
Am 6.1.1933 verfügte das Landgericht, daß das bei Nikolaus Schuster beschlagnahmte Rind versteigert würde, falls dieser die angesetzte Strafe nicht binnen 3 Tage bezahle.Am 15.11.1933 wurde die Ehefrau des Johann Träger wegen Zolldefraudation zu 5 Tagen und 15 Stunden Gefängnis verurteilt. Sie wurde vom 9. bis 14.6. jeweils um sechs Uhr in das Ortsgefängnis eingesperrt.
Am 19.8.1930 wurde die Cäcilie Adler 5 Tage eingesperrt, und von dem Polizeidiener am 24.8. abends 10¾ Uhr „herausgelassen“.
Am 7.6.1830 wurde der Gemeindediener Sax für 3 Tage in Lorsch eingesperrt wegen pflichtwidrigen Verhaltens.
Am 10.1.1833 sollte die Jüdin Regina Sternheimer ebenfalls wegen Zollvergehens vor dem Landgericht in Lorsch erscheinen. Bürgermeister Beikert meldete nach Lorsch, daß sie krank sei. Auf die spätere Anfrage des Gerichts, ob sie jetzt wieder gesund sei, berichtete Bürgermeister Beiket am 13.4.: „Ja, sie ist wieder hergestellt, aber dermalen in jedem Augenblick ins Kindbett kommt“. Über den Ausgang dieses Verfahrens ist aus den Akten nicht zu ersehen. Jedenfalls hatte die Regina vorläufig Ruhe.
Mehr als 36 Fälle der Zolldefraudation sind in dieser Zeit verzeichnet. Die Zollaufsicht wurde verstärkt und eien zweiter Beamter in Viernheim stationiert. Der Tabak mit seinem Zoll Blieben Probleme. Die „Tabakschiebungen“ nach dem ersten und zweiten Weltkrieg sind noch gut bekannt. Mancher Defraudant – ich war auch so einer – hatten zwischen einigen Welschkornzeilen eine Zeile Tabak versteckt, ohne daß die Zollbeamten es merkten. Mit dem unverzollten Tabak wurden 1945/46, oft unter großen Gefahren (nachts) Wein über den Rhein geschmuggelt, und mit diesem wieder Tauschgeschäfte mit Baumaterial getätigt. Die Tauschpartner kamen sogar aus dem Ruhrgebiet. Als der Bürgermeister Lorenz Neff einmal von dem Landrat einen großen Rüffel einstecken mußte, sagte er dazu: „Die sollen mich hinten herumheben. Mit was sollen den die Häuser gebaut werden? Ich pfeife auf die Vorschriften!“ Mancher Viernheimer hat seinen Hausbau auf diesen Tauschgeschäften aufgebaut. Dazu gehören manche Anekdoten. Nur eine davon: Ein Viernheimer wollte einen Kanister Wein über die Rheinbrücke heimbringen. Er setzte eine große blaue Brille auf und dekorierte den Arm mit einer gelben Blindenbinde, dazu machte er ein erbarmungswürdiges Gesicht. Die Franzosen auf der Rheinbrücke, die in der Regel den Wein beschlagnahmten, ließen ihn aus Mitleid laufen, samt seinen Begleiter, dem „Mordsche“. Es wurden auch ganz große Dinge meisterhaft gedreht! Im Lastwagen unten Tabak, obendrauf Holz. Auf dem Rückweg unten Wein, obendrauf Dickrüben! Das waren Zeiten!