1907: 135 Gaslaternen in Viernheims Straßen


Um die Jahrhundertwende, als Nachbargemeinden und -städte schon mit Gas und Elektrizität versorgt waren, brannte in Viernheims Häuser noch Petroleumlampen. Im Jahre 1905 entschloß sich der Gemeinderat endlich, das „moderne Licht“, das Gaslicht, einzuführen. Nach entsprechenden Vorarbeiten wurde im Jahre 1906 mit dem Bau eine Gaswerkes begonnen. Die von der Kölnischen Maschinenbau AG in Köln im „gemeinheitlichen Gelände, im Walddistrikt `Viehtrieb`“ erstellte Anlage kostete 240.000 Mark und lief nach etwa einjähriger Bauzeit am 27.05.1907 an. Die mit acht Retorten einwandfrei arbeitenden zwei Öfen brachten aus 100 kg Kohle 29,91 cbm Gas, 66 kg Koks und 4,5 kg Teer. Da die Verlegung des Rohrnetzes, die Herstellung der Hausanschlüsse und die Demontage der Petroleum-Straßenbeleuchtung schon während der Bauzeit der Gaswerks durchgeführt worden war, konnte Mitte 1907 in etwa 300 Wohnungen das „moderne Licht“ aufleuchten. Gleichzeitig wurden sieben, in drei Metzgereien, zwei Druckereien, einer Zigarrenfabrik und einer Gärtnerei aufgestellte Gasmotoren versorgt. Im Jahre 1908 hatte das Gasrohrnetz schon eine Länge von 14.914 Metern.

Bei Stellung einer Kaution „für alle Nachteile, welche durch mangelhafte und leichtsinnige Betriebsführung entstehen“, wurde Sebastian Mandel III, am 12.06.1906 vom Gemeinderat als „Gasmeister für das neue Gemeindegaswerk aufgenommen“. Im gleichen Jahr betrauten die Gemeindeväter eine aus drei Gemeinderatsmitgliedern gebildete Kommission mit der Verwaltung des Gaswerks, welche vierteljährlich Bericht zu erstatten hatte. Gleichzeitig wurde eine „Satzung über die Abgabe von Gas aus dem Gaswerk der Gemeinde Viernheim“ erlassen. Obwohl die Anschlußrohre bis einen Meter über die Grundstücksgrenze der Häuser kostenlos verlegt wurde, zeigten sich die Bürger nicht allzu anschlußfreudig. Die Anschlußkosten beliefen sich auf 40 bis 60 Mark. Freudig begrüßt wurde dagegen die Umstellung der Straßenbeleuchtung auf Gas. Zur Jahresmitte von 1907 brannten 135 Gaslaternen, 83 halb- und 52 ganznächtig. An bestimmten Tagen, wie z.B. an „Kaisers Geburtstag“ ließ man alle Laternen die ganze Nacht brennen.

Infolge wegen der Verknappung des Petroleums angestiegenen Gasverbrauch im ersten Weltkrieg war ein dritter Ofen notwendig geworden. Im Jahre 1916 wurden 324.000 cbm verbraucht, über das doppelte vom ersten Betriebsjahr (150.000). Der Kohlemangel und der enorme Preisanstieg führten zur Stagnation und gar zum Rückgang.

Dazu kam noch die Inflation von 1923. Reparaturen an Öfen und Retorten konnten kaum erledigt und von Rendite konnte nicht mehr gesprochen werden. Am 01.11.1926 wurde das Gaswerk stillgelegt, die Anlage demontiert und als Schrott für 5.000 Mark verkauft. Der Gaskessel blieb erhalten und diente mit seinen 1.000 cbm-Fassungsvermögen als Reserve für Spitzenzeiten. Der am 01.10.1926 mit den Städtischen Werken Mannheim abgeschlossene Gasbezugsvertrag brachte einen neuen Abschnitt in die Viernheimer Gasversorgung.