VON SÄUFERN, WILDDIEBEN, FORSTFREVLERN, MÜSSIGGÄNGERN UND BEISASSEN....
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Im Gerichtsbuch von 1739 – Stadtarchiv – ist ein interessanter Eintrag vom 13. Juni 1739 zu finden, der über die Ernährungslage, die Ausländer und die Beisassen in Viernheim Auskunft geben soll. Anlaß hierzu war eine Anfrage des Oberamts Starkenburg. Man wollte wissen, wie viele Einwohner die Gemeinde ernähren könne, damit nicht viele Leute unter Nahrungssorgen zu leiden hätten und den anderen Gemeindsleuten zur Last fallen. Das Dorfgericht stellte fest, daß die Gemeinde schon mehrere Ausländer, die sich nicht wohl aufführten, angenommen hätte, ohne enen Vermögensnachweis und gegen einen alten Befehl der kurfürstlichen Regierung von 1714. Das Gericht nahm wie folgt Stellung: 1. Von den derzeitigen Gemeindeleute könne wohl schwerlich, von einigen abgesehen, welche entlassen werden, weil sie sich nicht allein ernähren können und mögen, sondern dem Hinweglaufen, Spielen, Saufen in den Wirtshäusern, oder dem stinkenden Müssiggang ergeben sind und sich auf andere Leute Güte, und sich in den herrschaflichen Wäldern zu ernähren suchen. 2. Wenn eine ausländische Person zuziehen will, müßte an das Oberamt ein Bericht zur Weiterleitung an die Regierung erstattet werden, wäre das geschehen, wären manche Ausländer von den Gemeinde ferngehalten worden. (Unter Ausländer verstand man alle Leute aus Orten, die nicht zur Kurmainz gehörten). 3. Will eine ausländische Person in den Ort einheiraten, so darf sie das nicht eher tun, bis sie ihr Vermögen nachgewiesen hat. 4. Die unbemittelten einheimischen Töchter und Söhne sollen untereinander heiraten und nicht fremde Unbemittelte herbeiziehen. 5. Beisassen sind leider zu viel in dem Ort. Um die Zahl zu veringern, sollte kein Gemeindemann an die Beisassen Äcker oder Wiesen verleihen, sonst legen sie sich Schweinevieh zu und stehlen mehr Futter von den benachbarten Äckern, als sie von ihren Zinsäckern holen, die ihnen nur als Deckmantel für ihre Diebereien dienen. 6. Kein ehrlicher Mann kann noch einen einheimischen Beisassen als Tagelöhner halten, weil sie sich entschuldigen, sie hätten auf den eigenen Äckern zu tun. Die Gemeindsleute müßen deswegen fremde Taglöhner unter hohen Kosten beschäftigen. Die Beisassen gereichen auch dem Wald zu größten Schaden, weil sie mit ihren Schubkarren Tag und Nacht in den Waldungen fahren, die fruchtbaren Bäume stummeln, die Tannen verkippen und das Holz nach Mannheim und anderswärts verkaufen. 7. Es wäre dafür zu sorgen, daß die jungen Leute beiderlei Geschlechts sich nicht minderjährig verheiraten, wodurch gar zu frühzeitig Kinder erzielet und die Gemeindt vulneriert werde. Die Unterzeichner dieser Niederschrift waren: Unterschuldheiß Velten Kirchner, die Gerichtsschöffen Platz, Pfaff, Kercher, Kuhbach, Schorn, Nägel, Martin und Hellwig. Fürwahr: Das Dorfgericht redete eine harte Sprache? Manche Gedankengänge waren unsozial, insbesondere soweit man mit den Gedanken umging, einen Teil der Einwohner auszuweisen, frühe Heiraten zu verbieten usw. Die Beisassen waren minderbemittelte Leute, waren keine Bürger hatten auch keinen eigenen Grundbesitz, mußten aber ein jährliches Beisassengeld an die Gemeinde zahlen. Noch 1803 finden wir in der Gemeinderechnung einen Einnahmeposten von 10 Gulden und 30 Kreuzern an Beisassengeld. Der Mann mußte jährlich einen Gulden und eine Frau 30 Kreuzer zahlen. Es dauerte noch eine Weile bis zur gesetzlichen Freizügigkeit. Der Bericht des Dorfgerichts diente zur Orientierung der Regierung. Zu eine Ausweisung der mißliebigen Person kam es im allgemeinen nicht, wohl aber zur genaueren Überwachung der Beisassen und sonstige Ausländer. Ein Verbot der Heirat Minderjährigen hätte auch nicht viel genutzt. Dafür hätte es eben uneheliche Kinder gegeben, wie öfters in diesen Zeiten. Die Stellungnahme des Gerichts gibt ein anschauliches Bild der damaligen Verhältnisse. Den Dorfherrn (Schuldheiß und Gericht) waren die Beisassen ein Dorn im Auge. Die geschilderten „Missetaten“ entsprangen einer Notdurft in den damaligen Zeiten, abgesehen vom „Saufen“ und „stinkenden Müßiggang“. Der Bericht des Dorfgerichts spricht auch davon, daß Diebesgut nach Mannheim verkauft wurde. Die Mannheimer waren eben gute Abnehmer, besonders für Brennholz, da die Stadt Mannheim keine Wälder hatte. Das „Anmachholz“ war ein sehr begehrter Artikel. Wer kann es einem armen Mann veübeln, wenn er vor über 200 Jahren im Walde einen Baum „stumpelte“ oder „kippte“ und zwischen „Tag-und- sicht-mer-nix“ das Kleinholz mit derSchubkarre nach Mannheim brachte. Die Eigentumsverhälnisse an dem großen Viernheimer Wald waren sowieso nicht klar. Erst der Waldprozeß von 1776 brachte Klarheit,in dem die Viernheimer auf das „seit Jahrhunderten“ strittige Eigentumsrecht zu Gunsten der Kurmainzischen Hofkammer verzichten und dafür die bekannten Realitäten, Brennholz,Weiderecht usw. eintauschten. Vorher ging man „ins Holz“, legal oder illegal. Im Wald gab es aber nicht nur Holz! Das Absatzgebiet war, wie bereits erwähnt, die Stadt Mannheim. Leichte landwirtschaftliche Erzeugnisse wurden noch vor hundert Jahren von den Frauen in einem Korb auf dem Kopf (dazwischen ein kleines Kissen), getragen. Der Tabak wurde an die Mannheimer Tabakregie verkauft, ein Privatunternehmen, das 1701 mit einem Kapital von 100.000,- Gulden von Privatleuten gegründet wurde. Diese „Tabakmanufaktur“ befand sich in dem heutigen Quadrat M 5, da wo heute das Arbeitsamt steht. Nach der späteren Auflösung der Manufaktur war in diesem Gebäude die Kaserne der „Gelben Dragoner“.Hauptaufkäufer für alle landwirtschaftlichen Erzeugnisse war um 1739 Johann Georg Hauptmann. Daneben gab es aber auch Konkurrenten, die in den Kirchenbüchern als „mercentarii“ bezeichnet wurden. Einer dieser wurde damals als „mercentarius tabaci“ bezeichnet. Es war also ein Tabakhändler.